Wednesday, November 16, 2011

Erschütternde Tiefe und leichte Romanzen

Weilheim. Im Vorwort zu seiner ­„Petite Messe solennelle“ schreibt der italienische Komponist Gioachino Rossini: „Hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik…? Ich bin für die Opera buffa (die komische Oper) geboren. Ein

bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Möge mir dafür das Paradies werden!“ Wenig Spaß jedoch verstand der Komponist in puncto der für eine „feierliche Messe“ etwas sonderbar anmutenden Besetzung von zwei Klavieren und Harmonium. „Herr Berlioz und andere Orchesterriesen schlagen mir mit ihren Heerscharen die Sänger tot. Und damit auch mich.“ Insofern ging es dem „Belcanto“-Befürworter nicht um Gründe der Sparsamkeit, sondern um das Unterstreichen des „schönen Gesangs“.

Ende des Jahres wird Wolfgang Beck nach achtjähriger Amtszeit als Kantor der Weilheimer Peterskirche in den Ruhestand gehen. Für seinen kirchenmusikalischen „Kehraus“ wählte er ausgerechnet dieses eigenwillige Alterswerk Rossinis. In diesen Umstand könnte man viel hineininterpretieren. Anlass gäbe dieses Stück zu Genüge. Die schönste Deutung aber wäre wohl, dass einem Kantor das „Cantare“, das vielfältige und ausdrucksstarke Singen, zur wichtigsten musikalischen Ausdrucksform zählt. Rossinis „Kleine Messe“ bietet genau das in überschwänglichem Maße. Und der Chor an der Peterskirche dokumentierte gleich beim dynamisch kontrastreichen „Kyrie“ mit intonatorischer Sicherheit und gestalterischer „Liebe fürs Detail“, wie fruchtbar Wolfgang Becks Arbeit in diesem Chor war. Dabei wurde nicht nur jede noch so kleine dirigistische Geste, wie die Sechzehntel-Auftakte beim „Eleison“ präzise aufgenommen. Insbesondere die wunderbar raumfüllenden Frauenstimmen gaben immer auch ein selbstbewusstes musikalisches Angebot ab, das im Wechselspiel mit dem Dirigenten zu einem atemberaubenden akustischen Erlebnis wurde. Hier diente natürlich auch die faszinierende Besetzung des begleitenden Klaviers und der für den Belcanto so typischen, Rhythmus gebenden, linken Hand wie ein sicheres Fundament. Pianist Friedemann Treutlein war aber nicht nur stumpfer Percussionist, sondern konnte sein Instrument, wie beim „Factorem coeli et terra“ im „Credo“ auch elegant singen lassen. So war einer der Höhepunkte des Abends das verträumte „Andantino mosso“ als Klaviersolo zur Gabenbereitung. Nach den vielen dramatischen Vokalnummern lehnte man sich hier zurück und konnte die Kunstwerke des Peterskirchen-Innenraums auf sich wirken lassen. Sakra­ler hat wohl nie ein Komponist für Klavier komponiert.

In seiner kleinen Konzerteinführung vermutet Kantor Beck, dass Rossinis Ironie bei der Beurteilung seiner Messe ein Ablenkungsmanöver darstellte, um ganz eigene Ausdrucksformen der einzelnen Messteile finden zu können. Im Klavierpart – seit jeher Sinnbild der häuslichen Musik – scheint sich diese Vermutung zu bestärken. Insbesondere auch deshalb, weil sich bei den auf die jenseitige Ferne bezogenen Textstellen immer das Harmonium hinzu gesellt. Ernst Leuze hielt sich mit seinem Part deshalb auch eher im Hintergrund und weitete mit seiner Registrierung lediglich den Klavierklang effektvoll und warm aus. Stellenweise meinte man, die „Vox Christi“-Stellen der Bach­schen Matthäus-Passion mit ihren sphärischen Streicherbegleitungen zu hören, wie ohnehin Rossini an manchen Stellen, etwa dem „Crucifixus“, aus seiner Bachbewunderung keinen Hehl macht. Die vom Chor an der Peterskirche mit Konzentration und Transparenz gemeisterte Schlussfuge des „Cum Sancto Spiritu“ gehört zu den anspruchsvollsten der Messvertonungen. Und mit welch lapidaren Klavier-Begleitfiguren scheint Rossini seine Kunstfertigkeit schmunzelnd zu untermalen. Ähnlich ironisch wirken die vielen „Amens“ im Glaubensbekenntnis, deren harmonische Doppeldeutigkeiten in der akustischen Durchhörbarkeit des Peterskirchenraums eine Herausforderung darstellten. Hier sorgten die hellen Männerstimmen für eine sichere Basis, und waren noch bei den dynamischen Kontrasten vom vierfachen Pianissimo bis ins dreifache Fortissimo unangestrengte „Steigbügelhalter“ für die singenden Kolleginnen.

Immer wieder wird die „Petite Messe solennelle“ im Zusammenhang von Rossinis Opernschaffen gesehen. So sehr dieser Zusammenhang besteht, so sehr besitzt dieses Werk aber auch einzigartiges und mehr auf den Facettenreichtum der menschlichen Stimme als auf theatralischen Affekt bezogenes. Die vier Vokalsolisten zeigten davon, bei allem technischen Können, sicher zu wenig. Vor allem im dynamischen Bereich spielte sich das Grundtimbre meist im pathetischen Forte ab, obwohl – wie etwa im „Et in terra pax“ – die Lautstärkenangaben über weite Strecken hinweg eine extrem zurückhaltende Gesangweise vorschreiben. Hierfür lieferte das Duo Ernst Leuze/Friedemann Treutlein immer wieder in beeindruckender Weise einen instrumentalen „roten Teppich“. Ein Glanzpunkt wurde jedoch im einfühlsamen Dialog zwischen Ann-Katrin Naidu (Alt) und dem Chor des „Agnus Dei“ gesetzt, dessen choralartige Choreinwürfe „Dona nobis pacem“ die Schlichtheit eines Gemeindegesangs imitierten und durch die unbegleitete Gesangsweise noch umso insistierender wirkte. Mitreißend auch das an Bartolos Arie „A un dottor della mia sorte“ aus dem „Barbier von Sevilla“ erinnernde „Domine Deus“ in der beschwingten Interpretation von Tenor Tilman Unger und man fragt sich bisweilen, wie sich der Meister der Theatralik, der musikalisch nichts dem Zufall überließ, den Himmelskönig und Weltenherrscher tatsächlich vorgestellt hat. Im „Quoniam tu solus sanctus“ wiederum wird ein so kindlich vertrauendes Klangbild gezeichnet, wie es zu Herzen gehender kaum in Töne zu fassen ist. Teru Yoshihara bewies, welche Anmut in seiner Bassstimme lag und dass das Besingen der Heiligkeit Gottes nicht immer nur im polternden Vollklang möglich ist. Und dann wieder das seltsame „Crucifixus“, wenn nicht traditionell vom Chor, dann doch zumindest langläufig von einer klagenden Altstimme besetzt. Rossini überlässt diesen, ganz im warmen As-Dur gehaltenen Teil, dagegen dem Solosopran (Petra Labitzke), was der Szenerie etwas merkwürdig sorglos Enthobenes verleiht.

Es scheinen diese Doppeldeutigkeiten zu sein, die dieses Werk so anrührend machen. Momente inniger oder erschütternder Tiefe wechseln mit leichten Romanzen ab, es gibt Widersprüche und Unerwartetes. Mehr Fragen werden gestellt, als Antwortversuche gegeben. Insofern ist Rossinis Werk sehr zeitgemäß. Die Konzertgemeinde dankte den Akteuren dieser Aufführung für die enorme Leistung und tiefe Leidenschaft und wünschte Kantor Wolfgang Beck, dessen enorm fachkundige und wirkungsvolle Arbeit in Weilheim ganz sicher schmerzlich vermisst werden wird, für die Zukunft alles erdenklich Gute.

Source: http://www.teckbote.de

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